Selbstwert trifft Rotstift

Ich stelle dir heute meinen inneren Kritiker vor, stets den gespitzten Rotstift zur Hand und den Selbstwert zu Füßen.

Der Beitrag beinhaltet meine Erfahrung und Auseinandersetzung, die ich gerne mit dir teilen möchte und vielleicht ist ja auch der eine oder andere Tipp für dich dabei.

Fangen wir mit dem Problemkind an. Mein innerer Kritiker, das Mies. Ich nenne es ‚ES‘, weil ich das Gefühl habe, dass mein innerer Kritiker sich mehr in Richtung ES, als zum ICH oder ÜBER-ICH hin bewegt. Das ist einfach ein Bild, das ich vor Augen habe und hat mit der eigentlichen Theorie wahrscheinlich nicht allzu viel zu tun. Aber wenn ich mir vorstelle, wie eine Diskussion in meinem Kopf aussieht, dann ist Mies sicherlich das ES mit dem Knüppel, ÜBER-ICH flüstert Gemeinheiten und ICH spielt blinder, stummer, tauber Affe.

Mein innerer Kritiker…

…ist ein ganz Großer. Er hat eine gigantische Klappe, den Knigge verspeist er zum Frühstück, das cholerische Dasein hat der sicher erfunden und als Herr und Meister über meine Daseinsberechtigung hat er diesbezüglich gewiss ein Gesetzbuch verfasst.

Ich habe in der Öffentlichkeit etwas Doofes gesagt? Mich falsch ausgedrückt? Nicht die richtigen Worte charmant, witzig und sofort parat gehabt? Rumgeeiert und die Wörter um ihre Logik gebracht? Einen Fehler gemacht? Ich stand jemandem im Weg? Ich habe etwas vergessen? Die Hose kneift? Der Knopf geht nicht mehr zu? Mir wurde auf Arbeit eine ganz simple Frage gestellt und ich präsentierte die gähnende Leere, die entsteht, wenn ich überrumpelt werde? Wie, ich bin nicht auf jede Sekunde des Tages vorbereitet?

Na, kein Wunder! Das Mies freut sich und wetzt den Rotstift. Es klärt mich gerne jeden Moment auf, warum das so ist.  Die Hasstirade ist keine Minute mehr entfernt.

Also geht es los, das Mies nimmt mich Stück für Stück auseinander und was mache ich? Nichts. Ich lasse es zu und umso mehr ich es zulasse, desto mächtiger, sowie bösartiger wird Mies. Die Ideen gehen nicht aus. Wozu ist das gut? Hilft es?

Nein, natürlich hilft es nicht. Und im Ernst mal – mächtiger als ich? Das wollen wir mal sehen.

Meiner Freundin ging es ganz ähnlich und bei einem gemeinsamen Zusammensitzen legte sie mir  ihre Lösung auf den Tisch.

Sie hat ihren Weg über ein kleines aber feines Buch gefunden, dass ich dementsprechend auf jeden Fall mal empfehlen möchte.

Hermann! – Vom klugen Umgang mit dem inneren Kritiker von Tom Diesbrock

Ihre Lösung und mein erster Schritt

Aufschreiben was der innere Kritiker sagt (à la konstruktives Gespräch). Objektiv, realistisch nachhaken/hinterfragen.

Sie schrieb alles auf. Einen Redeschwall vom Kritiker, in dem es ordentlich zur Sache ging und dann nahm SIE es auseinander. Dabei zückte SIE den Rotstift und prüfte ihren Kritiker auf Herz und Nieren. Und das funktionierte, um sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.

So mancher innerer Kritiker scheint nicht sehr kritikfähig zu sein und er mag es nicht, wenn man nachhakt!

Ich habe es auch versucht. Es blieb bei dem einen Mal. Es ist nicht meine Lösung gewesen, ABER es hat mich wachgerüttelt. Ich war geschockt. Richtig geschockt. Aufgeschrieben war es noch furchtbarer, als nur im Kopf. Vulgär, tiiiiief unter der Gürtellinie, zerfleischend, bösartig bis aufs Blut. Der eigene Mobber im Kopf. Ich fand es schrecklich.

Wenn ich darüber nachdenke, wann sich das alles gebessert und geändert hat – es war wohl der Punkt an dem ich realisiert habe wie unfair und fies Mies – ICH mit mir umgehe und ich es leid war.

Der Punkt, an dem ich genervt war, ständig im Kampf mit mir selbst zu stehen. Und ich war richtig genervt!

Ich habe mich mehr über das Mies geärgert, als über seine Korrekturen mit dem Rotstift.

Warum gehe ich so hart mit mir ins Gericht? Ist es nicht seltsam, dass ich das nur mit mir selbst so mache? Warum bin ich mir gegenüber nicht so gestimmt wie allen anderen auch? Nicht dass es schöner wäre, wenn ich mein Umfeld den gemeinen Attacken aussetzen würde. Aber warum gelten die Regeln von Mies nur für mich?

Ganz schön unfair.

Ich habe Mies hinterfragt.

Der innere Kritiker hat gar nichts mit Kritik zu tun. Denkt daran, es geht nicht darum selbstkritisch zu sein. Selbstkritik ist nicht das Problem. Es geht darum sich nicht selbst zu zerfleischen. Kritiker Mies löst keine Probleme. Zwei Beispiele:

Gefundenes Fressen: Fehler

Ich schreibe einen Text. Stundenlang und irgendwann sehe ich den sagenumwobenen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Plötzlich hinterfrage ich total banale Dinge, die eigentlich laufen.

Während ich meine BestofFehlerListe durchgehe und auch sonst so weit alles korrigiert habe… müsste am Ende was bei rum kommen.

Was meinst du was passiert, wenn dann z.B. ein das/dass Fehler auftaucht. Kritiker Mies verzeiht keine Fehler.

Seine Toleranzschwelle liegt bei 0.

Das Mies macht sich warm:

Grottenschlecht. Warum schreibst du eigentlich? Beherrscht du überhaupt die Sprache? Kein Mensch versteht was du schreibst. Weißt du es überhaupt? Du bist chaotisch und was du verzapfst ist noch chaotischer. Ich würde den Text mal wieder schön in einer Schublade verstauen. Weit, weit weg. Ist besser so. Wie peinlich wäre es, wenn das einer sieht. Du verhedderst dich überall. Du schreibst wie du sprichst – und wir wissen beide, wie unsportlich deine Zunge ist. Glaub nicht, dass nicht jeder merkt wie doof du bist, nur weil du beim Schreiben etwas mehr Zeit zum „denken“ hast. Geh und google lieber nochmal… vielleicht Zeiten? Wie wäre es mit GEGENWART und VERGANGENHEIT. Das dürftest vielleicht sogar du hinbekommen…

Und hier STOP!

Mies fängt gerade erst an und was glaubst du, wie gut es sich dann weiterschreiben lässt? Gar nicht.

Gefundenes Fressen: Aussehen

Mh. Die Hose geht nicht mehr zu. Ich habe zugelegt. Ich würde sagen normal wäre entweder: Ja und? … oder eben ui, da sollte ich ein bisschen was machen.

Aber der innere Kritiker ist nicht normal. Er reagiert so:

Warum merkst du das erst jetzt? Musst nur in den Spiegel gucken… Wie du auseinander gegangen bist. Eklig. Wie sie dich jetzt angucken. Eine Brezel kaufen? Was meinst du was sie denken, wenn du jetzt auch noch auf der Straße futtert? Und wenn wir schon dabei sind, dein Gesicht! Die Nase…

STOP! Ganz viel STOP!

DAS IST NICHT DEINE KRITIK!

Von woher nimmt Kritiker Mies das eigentlich?

Hast DU jemals einen anderen so in die Mangel genommen?

Wie würdest du empfinden, wenn jemand dir Nahestehendes oder Fremdes so behandelt wird?

Entsetzlich, oder nicht? Du wärst empört und du würdest denjenigen schützen wollen.

Mach es auch für dich!

Sei empört! Beschütze dich!

Ein wichtiger Schritt für mich war das Bild von Mies

Ich hatte zwar kein Gesicht vor Augen, aber ich dachte immer an etwas Erzieher-/Über-ich-/Lehrermäßiges – jemand mit der Macht des roten Stiftes. Nun stand in dem Buch etwas darüber, dass es das Kind ist. Das Kind, das dazugelernt hat. Eine Art Schutzmechanismus. Was wieder superlogisch ist, ein bekannter Schutzmechanismus ist die Vermeidung und was macht das Mies letztendlich? Mich hat es dazu gebracht zu vermeiden.

Gut, jetzt möchte ich nicht weiter abschweifen – Es sind einfach diese Endlosthemen, die in so viele Richtungen ihre Fühler strecken.

Es hat mir geholfen Mies als Erfahrungssammler zu betrachten. Umso mehr Negativerfahrung, desto verängstigter und feuerspeiender.

Aber wie viel Schutz dient der innere Kritiker meinem Selbst wirklich?

Wie so viele Schutzmechanismen ist er ab einem gewissen Punkt nur noch ungesund. Gefüllt mit Angst und schlechten Erfahrungen. Der Versuch zu helfen erzielt eher das Gegenteil.

Er ist selbstzerstörerisch.

Wie viel zerstört Mies bei seinem Schutz? Wohin führt er?

  • Angst
  • Trauer
  • Selbstmitleid
  • Selbstzweifel/Hass
  • Wut

Also habe ich hinterfragt, welche Erfahrungen Mies zum Handeln treiben – versucht zu verstehen woher es kommt. Und habe erkannt, dass es sich nicht einmal annähernd um meine Werte handelt. Eher das Was-denken-andere-Prinzip.

Schritt für Schritt

Kurz und knapp:

  1. Versuche, ob das Aufschreiben eine Option für dich ist. Rotstifte ihn! Hak nach. Sachlich. Und was empfindest du dabei?
  2. Hinterfrage deinen inneren Kritiker. Finde heraus wer dein Mies ist. Woher kommt seine Kritik wirklich? Von wem? Teilst du dessen Meinung eigentlich?
  3. Werde dir klar darüber, wie du mit dir umgehen möchtest. Fair? Wenn es um Verbesserung geht – Mies ist kein Kritiker, der dich weiterbringt. Er steht mehr im Weg als dass er von Nutzen ist.
  4. Versuch es mal mit: JA UND! Einfach immer. Andauernd. Sobald du merkst, dass er angerollt kommt… Du hast einen Fehler gemacht, ja und? (Dazu schreibe ich auch noch etwas im letzten Teil)
  5. Schütze dich. Unter diesem Punkt möchte ich gerne auch Nettigkeiten hervorheben: Bestätigung kann nicht schaden. Schaue nach Erfolgserlebnissen. Und behandele sie auch als Erfolg. Ein fertiger Text, ein fertiges Bild, ein neues Rezept, eine Runde Spinning… was auch immer dir einfällt. Für dich selbst oder auch von außen. Da ist nichts Falsches dabei. Fühl dich toll! SO WIE DU BIST!

Das war der zweite Teil! Ich freue mich über deine Gedanken!

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